Irrwege eines Pissarro - Geschichte einer Restitution
Von Maurice Philip Remy
Camille Pissarros „Le Quai Malaquais et l’Institut“ wird am 3.November bei Christie’s in New York versteigert (Taxe 1,5 bis 2,5 Millionen Dollar).
02. November 2009 Im Mai 2007 öffnete die Staatsanwaltschaft Zürich ein begehbares Schließfach bei der Kantonalbank in der Bahnhofstraße. Die Beamten stießen in Safe Nummer fünf auf drei Gemälde der französischen Impressionisten Claude Monet, Jean Renoir und Camille Pissarro. Außerdem fanden sich Hinweise auf ein Dutzend weitere Gemälde, die in dem Schließfach gelagert worden waren. Der Safe war von einer Liechtensteiner Stiftung angemietet worden, die von einem kurz zuvor in München gestorbenen Kunsthändler gegründet worden war. Der Mann war kein unbeschriebenes Blatt. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er sich am deutschen Kunstraub in Frankreich beteiligt. Tatsächlich handelte es sich bei einem der Bilder in seinem Safe um Raubkunst.
Das Gemälde „Le Quai Malaquais et l'Institut“ von Camille Pissarro stammte aus dem Besitz des Berliner Verlegers Samuel Fischer und war 1938 im Haus seines Schwiegersohns Gottfried Bermann in Wien beschlagnahmt worden. 1940 wurde die Pariser Straßenszene im Wiener Auktionshaus Dorotheum auf Rechnung der Gestapo versteigert und von dem Wiener Kunsthändler Eugen Primavesi erworben. Danach verliert sich die Spur. Gottfried Bermann, der mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten nach Amerika geflohen war und sich seither Bermann Fischer nannte, nahm nach dem Krieg die Suche nach den ihm geraubten Kunstwerken auf, im Fall des Pissarro ohne Erfolg.
Erst seiner Tochter Gisela - Bermann Fischer starb 1995 - gelang es, das Gemälde ausfindig zu machen und zurückzuerhalten. Am kommenden Dienstag soll es nun bei Christie's in New York versteigert werden, versehen mit einer Schätzung von 1,5 bis 2,5 Millionen Dollar. Wenn es im Auktionskatalog allerdings heißt, das Gemälde sei den Erben „nach einem langen Prozess“ zurückgegeben worden, so beschreibt das den Kampf um die Rückgabe nur unvollkommen.
Ohne weitere Bedingungen
Weltweit fehlen verbindliche Richtlinien, wie mit Raubkunst in Privatbesitz zu verfahren ist. In Deutschland zum Beispiel gibt es keine Rechtsgrundlage, die es Überlebenden des Holocaust oder deren Erben ermöglicht, die Rückgabe eines Kunstwerks zu erstreiten, das in der Zeit zwischen 1933 und 1945 geraubt worden ist. Die heutigen Besitzer eines von den Nationalsozialisten gestohlenen Kunstwerks können sich auf das Institut der Verjährung berufen - das bedeutet, dass der Herausgabeanspruch dreißig Jahre nach dem Besitzübergang erlischt. Diese Frist ist in aller Regel abgelaufen.
Eine entschädigungslose Rückgabe würde möglicherweise neues Unrecht schaffen, weshalb die einstigen Eigentümer in der schlechtesten Position sind - eine Situation, die international kein Einzelfall ist: In der Schweiz oder in Liechtenstein, dessen Sachenrecht dem schweizerischen folgt, geht es um die Frage, ob der Erwerber eines geraubten Kunstwerks über dessen Herkunft Bescheid wusste, es also gut- oder bösgläubig erworben hat. Lässt sich der bösgläubige Erwerb nicht nachweisen, verjährt der Herausgabeanspruch bereits fünf Jahre nach dem Diebstahl. Das gestohlene Kunstwerk bleibt von da an unerreichbar für den ehemaligen Eigentümer.
Die Rolle Dr. Bruno Lohses
Ebendiese Rechtslage stand auch der Rückgabe des geraubten Pissarro im Weg. Hinzu kommt, dass einiges dafür spricht, dass der letzte Besitzer des Bilds, der Münchner Kunsthändler Dr. Bruno Lohse, trotz seiner einschlägigen Vergangenheit mit seinem Raub nichts zu tun hatte. Als die Gestapo den Pissarro im März 1938 im Haus von Gottfried Bermann in Wien beschlagnahmte, begann der damals 27 Jahre alte Lohse gerade mit seinem Kunsthandel in Berlin. Zum Zeitpunkt der Versteigerung 1940 war er als Gefreiter der Wehrmacht in Polen stationiert.
Erst 1941 wurde Lohse „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ des berüchtigten Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg in Paris. Hier wurde auch Reichsmarschall Hermann Göring auf den Kunsthistoriker aufmerksam und verpflichtete ihn als Berater für seine Einkäufe im besetzten Frankreich. Dennoch scheint Lohses Rolle beim Kunstraub eher klein gewesen zu sein. Die Amerikaner jedenfalls bescheinigten nach dem Krieg den „untergeordneten und völlig offiziellen Charakter der Rolle Lohses“, und die Franzosen sprachen ihn als einzigen der wegen Kunstraubs angeklagten Deutschen nach kurzem Prozess im August 1950 frei.
Nach seiner Freilassung kehrte Lohse in seinen alten Beruf als Kunsthändler zurück, den Pissarro erwarb er 1957 in Berlin. Wer ihm das Gemälde verkauft hat, ist bis heute nicht bekannt. Ungeklärt ist auch, ob Lohse beim Kauf von der zweifelhaften Provenienz des Gemäldes wusste. Dagegen würde sprechen, dass er es 1984 in eine öffentliche Ausstellung nach Lausanne entlieh. Der Katalog dieser Ausstellung brachte Gisela Bermann Fischer 25 Jahre später auf die Spur von „Le Quai Malaquais et l'Institut“.
Information per Fax
Als im Jahr 2006 ihre Anwälte einen ersten Kontakt zu dem mittlerweile 94 Jahre alten Kunsthändler Lohse aufnahmen, gab es noch keine letzte Gewissheit über die Identität seines Bilds mit dem von Gisela Bermann Fischer gesuchten. Lohse entschied sich aber sofort für die Herausgabe. Er bat einen befreundeten Kunsthändler, Peter Griebert, mit dem er schon seit langem zusammenarbeitete, um diskrete Vermittlung in der für ihn prekären Angelegenheit. Griebert nahm über einen Mittelsmann, den amerikanischen Historiker und Kunstraubexperten Jonathan Petropoulos, Kontakt zu Gisela Bermann Fischer in Zürich auf.
Petropoulos kannte die alte Dame von seinen eigenen Recherchen her; wer der aktuelle Besitzer des Pissarro war, wusste er freilich nicht. Per Fax informierte Petropoulos Gisela Bermann Fischer im Januar 2007 über die mögliche Rückgabe. Ebenfalls in diesem Schreiben enthalten war eine Forderung Grieberts nach einer Vermittlungsgebühr in Höhe von zehn Prozent des späteren Verkaufswerts des Bilds. In der sehr diskreten Welt des Kunsthandels wird die Vermittlung von hochwertigen Werken geläufig mit solchen Margen entlohnt.
Gipfeltreffen in Zürich
Auf dem florierenden Feld der professionellen Jagd nach Raubkunst sind zehn Prozent sogar moderat. Das Art Loss Register in London, eine Datenbank für geraubte Kunst, fordert für die Wiederauffindung eines Werks bis zu zwanzig Prozent seines Werts. Es gibt aber Kunstfahnder, die bis zu fünfzig Prozent verlangen. Auch Gisela Bermann Fischer scheint sich zunächst nicht an Grieberts „Finderlohn“ gestört zu haben. Schriftlich bestätigte sie seine Forderung.
Am 25. Januar 2007 kam es dann in Zürich zum Gipfeltreffen: Gisela Bermann Fischer, Peter Griebert, Jonathan Petropoulos. Über den genauen Hergang gibt es zwei verschiedene Versionen. Griebert behauptet, dass er und Petropoulos sich mit Gisela Bermann Fischer einig waren und sie sogar noch zusätzlich acht Prozent vom Verkaufserlös als „Aufwandsentschädigung“ für den Professor aus Amerika und sein Institut anbot.
Eine College-Zeitung klärt auf
Um den Anlass zu feiern, so Griebert, sei man anschließend in das Restaurant „Kronenhalle“ gegangen auf Einladung von Frau Bermann Fischer, eine Flasche Champagner auf den Abschluss und einen Handschlag inklusive. Gisela Bermann Fischer sah das später ganz anders. Sie fühlte sich erpresst und ließ ihre Anwälte Strafanzeige gegen Griebert stellen.
Als amerikanischer Staatsbürger blieb Petropoulos dabei zunächst außen vor - bis eine College-Zeitung an seiner Universität in Claremont, Virginia, seine Beteiligung an dem Vorgang 2008 aufrollte. In der Folge musste Petropoulos seinen Posten als Direktor des „Center for the Study of the Holocaust Genocide and Human Rights“ aufgeben, seinen Lehrstuhl als Historiker behielt er. Gegen Griebert ermittelt die Staatsanwaltschaft München seit inzwischen zwei Jahren noch immer, bislang ohne ein Ergebnis.
Ohne weitere Verwerfungen wechselte Pissarros Straßenszene schließlich im August 2008 in die Hände von Gisela Bermann Fischer. Dazu hatten 21 Erben von Lohse die Stiftung in Liechtenstein ermächtigt, das Gemälde herauszugeben. Zuvor hatten Bermann Fischers Anwälte der Stiftung aus eigenem Antrieb zwanzig Prozent des Versteigerungserlöses für eine schnelle Einigung angeboten.
"Das schwarze Schaf der Familie“
Bei Gisela Bermann Fischer in Zürich hatte sich aber mittlerweile ein Neffe aus New York gemeldet: Itai Shoffman verfügt über Dokumente, die ihn als Miterben des Pissarro ausweisen, und er forderte seinen Anteil in Höhe von fünfzig Prozent des gesamten Verkaufserlöses. Shoffmans Papiere erzählen aus einem bislang unbekannten Kapitel in der Geschichte der Verlegerdynastie Fischer. Die zwei Töchter des alten Samuel scheinen ungleiche Schwestern gewesen zu sein: hier die Mutter von Gisela Bermann Fischer, Brigitte, genannt „Tutti“, die den Arzt Gottfried Bermann geheiratet hatte, der schließlich das Verlagshaus übernahm und das geistige und materielle Erbe Fischers glänzend bewahrte.
Dort die jüngere Schwester Hildegard, behindert, mit dem vermeintlichen Makel eines unehelichen Kinds behaftet, „das schwarze Schaf der Familie“, so formuliert es ihr Enkel Itai Shoffman. Seit der Flucht aus Deutschland im Jahr 1940 lebte Hildegard Fischer in den Vereinigten Staaten, wo sie erst 2005 starb. Gisela Bermann Fischer scheint die Ansprüche der armen Verwandtschaft zunächst nicht realisiert zu haben. Jedenfalls reichte sie den Pissarro im vergangenen Juni bei Christie's in London zur Versteigerung ein. Als sich allerdings die Anwälte der beiden Parteien bis abends um sechs Uhr des Auktionstags immer noch nicht geeinigt hatten, zog Christie's die Konsequenzen: Das Gemälde wurde eine Stunde vor Beginn aus der Auktion genommen.
Geblieben wären kaum mehr als vierzig Prozent
Dabei hatte Gisela Bermann Fischer schließlich sogar angeboten, den Erlös zu teilen. Nur die Kosten, die ihr aus dem Kampf um den Pissarro inzwischen entstanden waren, sollten vorher abzogen werden. Denn nicht nur Griebert und Petropoulos hatten von der Rückgabe des Gemäldes profitieren wollen, auch Anwälte von Bermann Fischer scheinen sich eine prozentuale Erfolgsbeteiligung gesichert zu haben.
Hinzu kommen die übliche Einlieferer-Provision für Christie's, endlich die zwanzig Prozent, die Lohses Liechtensteiner Stiftung zugesagt wurden: Am Ende wären kaum mehr als vierzig Prozent vom erst noch zu erzielenden Verkaufserlös des Bilds für die Erben geblieben - dem Neffen aus New York deutlich zu wenig. Dass die Parteien nach dem Fiasko von London im Juni nun doch noch zueinander gefunden haben, ist den beharrlichen Bemühungen Anne Webbers von der gemeinnützigen „Commission for Looted Art“ in London und des Berliner Rechtsanwalts und Kunstraubexperten Gunnar Schnabel zu verdanken.
Um der Sache willen und ohne Honorar gelang es ihnen, eine Einigung zwischen Bermann Fischer und Shoffman zu erzielen, allerdings unter der Bedingung, dass der Neffe aus Amerika sich lediglich an einem festgelegten Teil der Vorkosten beteiligt. Würden die Anwälte und die Stiftung in Liechtenstein weiterhin auf die ihnen vertraglich zugesicherte prozentuale Beteiligung bestehen, bliebe kaum mehr etwas übrig für Gisela Bermann Fischer. „Mein Gefühl war einfach, haltet den Dieb!“, hatte Gisela Bermann Fischer der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über ihre Empfindung beim Wiederauftauchen des Pissarro gesagt: „Aber dann entstand durch die Suche eine große Unordnung in meinem Leben.“
Der Verfasser arbeitet an einem Buch über die Biographie Bruno Lohses und diesen Restitutionsfall unter dem Titel „Das Pissarro-Prinzip“.